Sergei Babayan, „einer der größten Pianisten unserer Zeit” (Bachtrack), wird seit langem gefeiert für “die leise Schönheit und das emotionale Feuer” (The Times) seiner Interpretationen. Als Deutsche Grammophon-Exklusivkünstler blickt er auf eine wachsende Diskografie preisgekrönter Aufnahmen.
KLAVIERABEND „SONGS“
Sergei BABAYAN, Klavier
Das Programm SONGS von Sergei Babayan ist eine poetische Reise am Klavier durch die Vokalmusik verschiedener Epochen – jedes Stück klingt wie ein Lied ohne Worte. Inspiriert von Meisterwerken des Gesangrepertoires, hat Babayan an diesem Abend ein farbenreiches Mosaik von Transkriptionen zusammengestellt – von Liszt und Rachmaninow bis hin zu eigenen Bearbeitungen.
Im ersten Teil erklingen Schubert-Lieder in virtuosen Bearbeitungen von Liszt, Romanzen von Schumann, Liszt und Rachmaninow sowie feinfühlige Transkriptionen von Ponce, Kreisler und Volodos. Der zweite Teil widmet sich lyrischen Miniaturen von Mompou, Sibelius, Komitas, Poulenc, Gershwin und anderen – darunter auch Transkriptionen von Babayan selbst. So verwandelt er vokale Juwelen wie Griegs „Ein Traum“ oder Faurés „Au bord de l’eau“ in tief empfundene pianistische Monologe.
SONGS ist weit mehr als ein Konzert – es ist eine musikalische Liebeserklärung an die menschliche Stimme und ihre Ausdruckskraft, gespiegelt im Klavier und im schöpferischen Denken eines der herausragenden Pianisten unserer Zeit.
Das 3. Ost-West-Festival NRW lädt Sie herzlich zum festlichen Eröffnungskonzert der Kammermusikserie „Große Meister im Beethoven-Haus Bonn“ am Sonntag, den 2. November 2025 um 19:00 Uhr ein.
SERGEI BABAYANS PROGRAMM “SONGS”
„Wie man eine gute Melodie schreibt“, sagt Sergei Babayan, „kann man nicht lernen. Das ist eine Gabe, die man entweder hat oder nicht hat. Bei jedem Studium der Kompositionskunst bleibt die Melodie das ultimative Mysterium.“ – Babayans neuestes Solorezitalprogramm mit dem Titel SONGS ist eine Hommage an diese Gabe, einige der schönsten Melodien in der Geschichte des Kunstliedes zu schaffen. Die musikalische Reise, die Babayan dem Zuhörer vorschlägt, von Franz Schubert bis Charles Trenet, bietet eine einzigartige Gelegenheit, über die Zutaten für eine großartige Melodie und die Art und Weise nachzudenken, wie sich das moderne Volkslied und Kunstlied im Laufe der Zeit entwickelt haben, mit gesungenen Worten und als Transkription für ein Instrument, als ein Lied ohne Worte.
Um die geradezu obsessive Kraft zu verstehen, die Sergei Babayans kreativen Prozess als Pianist antreibt, ist es wichtig zu betonen, dass seine oft gepriesene Fähigkeit, „das Klavier zum Singen zu bringen“, das Ergebnis zweier Schlüsselelemente ist: akribischer, fast besessen detailgenauer Vorbereitung und der tiefen Überzeugung, dass jedwede große Instrumentalmusik, ob für Klavier solo, Kammermusikensemble oder Sinfonieorchester, letztlich darauf abzielt, die Farben, Phrasierung und Dynamik der menschlichen Stimme nachzuahmen. Deshalb bietet sein vollständiges Programm mit Liedern ohne Worte eine tiefgehende Erkundung der musikalischen Möglichkeiten des Klaviers an sich und nicht nur einen bunten Reigen melodischer Hits und Ohrwürmer, eine lange Liebeserklärung an das Lied, die immer in der Gefahr eines musikalischen Zuckerschocks schwebte.
Die Lieder von Franz Schubert erscheinen als natürlicher Ausgangspunkt für diese Entdeckungsreise durch die westliche Musik. Sehr subtile Modulationen, wiederkehrende Dur-Moll-Wechsel und eine äußerst dichte Präsentation des melodischen Materials über einer subtil divergierenden Begleitlinie sind Merkmale vieler Schubert-Lieder. Liszts Transkriptionen dieser Lieder sind faszinierende Beispiele für Liszts großzügiges Engagement für die Sache anderer Komponisten – im Fall der Eröffnung von Gretchen am Spinnrade oder Die Stadt dadurch, dass sie den atmosphärischen Reichtum, den Schuberts Originallied dem Part des Begleiters verleiht, ganz in den Vordergrund rücken, mit den unaufhörlichen Drehungen des Spinnrads im ersten und dem unheimlichen Nebelbild der Stadt am dunkler werdenden Horizont jenseits des grauen Gewässers im letzteren. Im gleichen Sinne ist Erlkönig schon in der ursprünglichen Schubert-Fassung für Singstimme ein pianistisches Meisterwerk (und eine große pianistische Herausforderung) und wird in Liszts atemberaubender Transkription zum Muster für ein Arrangement, das dem Lied zwar treu bleibt, dabei aber erhebliche instrumentale Schwierigkeiten hinzufügt und gleichzeitig dem Zuhörer die Illusion vermittelt, vom Klavier aus jedes einzelne Wort des ursprünglichen Dramas von Goethes Ballade zu hören, wie es von Schubert vertont worden war. Liszts Bearbeitung von Schuberts Aufenthalt hingegen und das Ständchen: Horch! Horch! oder der hochvirtuose Mittelteil seiner Transkription von Gretchen am Spinnrade verwandeln das ursprüngliche melodische Material mit großer Freiheit in ein eigenständiges pianistisches Werk, das die Grenzen des klanglichen Potenzials dieses Instruments auslotet.
Liszts orgiastische Steigerung der kurzen, euphorischen Melodie aus Schumanns Widmung hebt dieses Prinzip der pianistischen Freiheit vollends auf eine höhere Ebene, und Babayan nutzt dies als Hinführung zu einer Folge melodiöser Klavierwerke von Liszt, Ponce und Rachmaninoff, die eine Palette transformatischer Werkzeuge einsetzen, darunter elegische Melodielinien über gebrochenen Akkorden, Obertoneffekte, Oktaven der rechten Hand und Oktavierungen im Liedverlauf, parallelle Läufe usw. Diese Beispiele gipfeln in einem scheinbar schlichten Walzer von Fritz Kreisler, präsentiert in einem atemberaubenden Arrangement von Rachmaninoff selbst, der mit einem etwas asynchronen Hinken seines Instruments dem ansonsten unnachahmlichen Wiener Geigenvirtuosen auf humorvolle Weise Tribut zollt.
Mit der Wendung zu den melodiegetriebenen Werken des Katalanen Frederic Mompou, des Basken Jesús Guridi, des Armeniers Komitas und des Finnen Sibelius eröffnet Sergei Babayan dem Zuhörer eine Liedwelt, die die Klangwelt des mitteleuropäischen Kunstliedes überschreitet. Der 1955 in Charkiw geborene Leonid Desyatnikov ist mit der Transkription einer Melodie aus der Bukowina vertreten, einer in Wahrheit hochkomplexen Klavierkomposition, die auf ältesten, scheinbar schlichten Volksliedtraditionen aufbaut. Komitas, als erster Nichteuropäer überhaupt in die Internationale Musikgesellschaft in Berlin aufgenommen, wurde zu Armeniens Nationalkomponist mit seiner Doppelrolle als armenisch-orthodoxer Priester, der im polyphonen
Kirchengesang seiner Heimat verwurzelt war, und seiner musikwissenschaftlichen Arbeit, in der er Tausende von Volksliedern sammelte und viele davon erstmals für Transkriptionen für westliche Instrumente zugänglich machte. Es ist diese für das westliche Ohr ungewohnte Klangatmosphäre, die dabei hilft, sich auf die inneren Qualitäten der Melodie in der Musik von Komitas zu konzentrieren, dessen Werk einen offensichtlichen Einfluss auf Sergei Babayan als einen in Armenien geborenen und aufgewachsenen Pianisten hatte.
Dass die Qualität der pianistischen Behandlung einer Melodie nicht mit ihrer Singbarkeit, gar dem Ohrwurmcharakter einer musikalischen Phrase zusammenhängt, zeigt sich auch an den melodischen (tonalen oder atonalen) Werken von Komponisten wie Schönberg. Hindemiths kleines Lied ist ein weiteres Beispiel, das in seinen hinkenden Wendungen und melodischen Höhen und Tiefen geradezu abstrakt wirkt. Von dieser Abstraktionsebene aus führt ein direkter Weg den Hörer zum Prinzip von Spannung und Auflösung (tension & release), das die Verarbeitung von Melodien im Jazz leitet, der „außerhalb“ und „innerhalb“ der „richtigen“ Noten spielt: Keith Jarrett, ausgebildet in klassischer Komposition und Interpretation, schuf Transkriptionen für das Klavier, die auf den Schultern von Liszt und Rachmaninoff stehen, während sie mit scheinbar leichterem Volkslied- und Filmmusikmaterial arbeiten.
Im 20. Jahrhundert findet sich in Poulencs Klavierimprovisation Hommage à Edith Piaf ein Solitär, ein ganz ungewöhnlicher Ansatz für den „Liebesdienst“ für das Lied, den jede Klaviertranskription darstellt: Das Material basiert hier nicht auf einem bestimmten Lied der als „Spatz von Paris“ verehrten Sängerin, sondern auf der generell melancholischen Atmosphäre so vieler ihrer Lieder, auf der Erinnerung an ihre charakteristische Stimme und ihr außergewöhnliches Leben. Die Idee dieses „Liebesdienstes“ wird schließlich in pianistischen Meisterwerken von höchster Virtuosität zelebriert, so in Alexis Weissenbergs Arrangement von Charles Trenets unsterblichem Lied En avril à Paris .
Eine Fußnote, die über dieses Konzertprogramm hinausweist: Wäre es für den Hörer eine große Überraschung, wenn das von Sergei Babayan hier vorgestellte Programm SONGS, wie letztlich jedes seiner Programme, eine diskrete Hommage an den größten Komponisten überhaupt wäre, so denkbar fern der der Welt des Liedes auch scheinen möge? An den größten Melodienschöpfer aller Zeiten, an Johann Sebastian Bach? © Dr Marcus Felsner, 2024